Iskenderun

Der Wecker klingelt. Wir sind noch nicht mal in der Nähe von Osmaniye, sondern noch vor Adana. Wir schätzen, dass eine Stunde Schlaf mindestens noch drin ist, lassen ein Mal Frischluft in unser beheiztes Abteil und legen uns nochmal hin.

Nach dem zweiten Aufwachen kommt unser Schaffner vorbei und will wissen, ob ich immer noch in Osmaniye aussteigen will. Ja, wollen wir BEIDE noch, versichern wir ihm. Er guckt ungläubig und sagt, wir seien in "half o'clock" da - sicherlich, sind wir doch gerade erst in Adana losgefahren.

Da wir immer wieder versucht haben, die Sache mit unseren Visa zu erklären, holt er einen Kollegen aus dem vorderen Zugteil (Kollege, da er TCDD-Papierschlappen trägt), der besser Englisch spricht und scheinbar auch des Arabischen mächtig ist.

Der sagt uns, wir sollten an der Grenze einfach mit den Zöllnern reden und bekämen dann ein paar Tage mehr, kein Problem. Der Schaffner grinst: "You go to Aleppo!" ruft er triumphierend. Sandra zeigt dem kundigen Kollegen ihren Pass, dieser mustert das Visum intensiv und räumt dann ein "No, no more!"

Weil unser Schaffner das nicht verstanden hat, ist er weiterhin verunsichert, als wir nach der Station Toprakkale unsere Rucksäcke in den Vorraum tragen. "Go to Aleppo?" fragt er in fast bittendem Tonfall. Dennoch schließt er uns die Tür auf, als wir halten - ja, richtig kombiniert, die zwei Schlafwagen am Ende des Zuges sind wahrlich eine Klasse für sich, wer nicht auf der Passagierliste steht, kommt auch nicht rein - das erklärt wohl auch das Fehlen jeglicher Verkäufer.

Wir hüpfen aus dem Zug zwischen die Gleise und laufen zwischen unserem und einem Güterzug auf den Bahnsteig zu. Dort treffen wir auch den kundigen Kollegen wieder, der scheinbar hier Feierabend hat und es überhaupt nicht fassen kann, dass wir hier sind.

Er kichert vor sich i: "Why did you get off here?" fragt er uns, obwohl er doch eigentlich von unseren Visa weiß, und als wir ihm erzählen, dass wir jetzt den Minibus nach Iskenderun suchen, ist es gänzlich aus mit ihm und er prustet vor Lachen. "Also, ihr habt euer Ticket nach Aleppo, und dann steigt ihr ausgerechnet hier aus", fasst er sich (in Übersetzung) ein wenig, "aber warum Iskenderun?" Und dann kommt es wieder: "One day in Iskenderun is enough!"

Er jammert noch ein wenig, warum wir nicht nach Mersin fahren, weist uns aber schon mal ungefähr die Richtung zum Busbahnhof. Nach zwei Kreuzungen und zwei Mal "Otogar?" fragen finden wir den auch, steigen in den Minibus nach Iskenderun, in dem schon zwei alte Herren sitzen und uns beim Einsteigen freundlich anschauen und auf die Sitze vor ihnen zeigen und der Bus fährt los.

Zwei Überraschungen: Zum einen ist der Bus noch gar nicht voll, Sandra hätte vermutet, dass er dann noch nicht abfährt, zum anderen fährt der Fahrer geradezu erschreckend langsam. Wir sammeln auf dem Weg hier und da immer Mal jemanden ein oder lassen jemanden raus, und schon bald halten wir in Iskenderun.

Ein Mitreisender schenkt uns noch zwei Äste mit gelben Früchten, weist uns in Richtung Sehit Pamir Caddesi und verabschiedet sich per Handschlag. Wir finden ein Hotel, dass wir uns aus dem Rough Guide im Hostel in Istanbul abgeschrieben haben und beziehen nach Besichtigung ein Zimmer im dritten Stock für 40 YTL die Nacht.

Jan beschreitet die fabrikneue Uferpromenade.

Nach einer kurzen Ruhepause und erfrischenden, kalten Duschen, schicken wir uns an, die Uferpromenade zu erkunden. Direkt am Anfang jedoch gesellt sich ein Bielefelder zu uns, der seine Diagnose "Geisteskrank" gleich vorneweg stellt und uns die nächsten zwei Kilometer allerhand erzählt, leider auch seine etwas wirren Ansichten zu Hitler und den Juden, außerdem lebt Jesus Christus als Michael Jackson unter uns Menschen und Billy Jean gibt es auch irgendwie in echt und sie (welches Geschlecht hat eigentlich Billy Jean? Muss doch eine Frau sein, wenn Jackson von ihr singt...) ist zumindest heilig oder wasweißich.

Ein Hoch auf Sandras professionelle Gesprächsführung, immerhin kommt auch die nützliche Information aus diesem Gespräch, dass man zum baden nach Arsuz fahren sollte.

Das obligatorische Pepsi-Foto.

Dann verlässt er uns und gibt uns Gelegenheit, in verschiedenen Einrichtungen Pepsi, Käsetoast und Tee zu uns zu nehmen. Anschließend schreiben wir in einer schattigen Laube weiter an diesen Texten.

Nach der Niederschrift dessen, das du eben lasest, begebe ich mich auf eine Mini-Fotosafari, während Sandra weiter auf totale Entspannung setzt. Unweit unserer Laube ist ein großer Platz mit einer riesigen Statue, ein Mann, den einen Arm richtungsweisend erhoben, in Begleitung des Volkes und der türkischen Flagge. Das kann eigentlich nur Atatürk sein, und richtig, "Atatürk" jubeln drei kleine Jungs, die mich entdeckt haben.

Er ist es!

Ich bedeute ihnen, ob sie Lust auf ein Foto haben und die drei gehen in Pose. Ich muss leider doch kurz an Matthias denken, einen von Sandras Kollegen in Kambodscha, der von ebenso charmanten Kindern am Strand beklaut wurde, versuche aber, vom Guten auszugehen und zeige ihnen noch das Bild, bevor ich gehe.

Ali, Fatih und dingens. Von links nach rechts oder umgekehrt.

Als ich bei Sandra bin, haben die drei mich allerdings wieder eingeholt und fallen nach Austausch aller bekannten Worte über unser kleines Langenscheidt her. Höchst interessant, welche Vokabeln Ali, der vorlauteste der Jungs, auswählt: "Hinterkopf", "Unabhängigkeit", "Verbluten" ... MOMENT!!??

Ich male freundlichere Bilder in mein Buch und schreibe die deutschen Bezeichnungen daneben, ich beginne mit einer Sonne, die Kinder malen Wolken, Regen und einen Stern. Schließlich werden sie doch ein wenig anstrengend und wir verabschieden uns. Ich schreibe allen dreien "Hey Jungs! Viele Grüße aus Münster" auf einen Zettel und dem dritten, der ein bisschen zu kurz kommt, schreibe ich noch "Du bist der Beste!" dazu.

Zurück auf dem Sehit Pamir Caddesi lädt uns ein Herr zum Tee ein und Sandra schaltet schneller und willigt ein. Während ich skeptisch war, hatte sie auf dem Schirm, dass die Araber halt gern mal zum Tee einladen, auch ohne einen Shop zu haben oder ähnliche Hintergedanken.

Also führt er uns zu seinem Freund ins Cafe und wir halten einen kleinen Plausch über einem Tee. Er hat sechs Kinder mit zwei Frauen und seine 200ß $ Gehalt reichen auch nicht mehr so weit wie früher. Wird ja alles immer teuer in der Türkei. Syrien hingegen sei sehr billig, und er empfiehlt uns auch, nach Arsuz zu fahren und dort auch zu nächtigen - nach dem Schwimmen sei man doch müde. Jetzt liege ich auf dem Hotelbett und Sandra war noch mal kurz shoppen in ihrem neuen Lieblingsgeschäft: LC Waikiki.

Nach kurzer Erholung im Hotel nächster Plan: Sonnenuntergang. Dch leider sind wir einem geographischen Irrtum aufgesessen, die Küste hier weist gen Norden statt Westen, und zu viele Wolken sind sowieso da.

Also Abendessen: Wir besorgen uns zwei Ayran und Wasser im Supermarkt und essen dann Käse-Pide und Pizza. Einen Salat bekommen wir unaufgefordert obendrauf, und kosten soll der Spaß lächerliche 12,50 YTL. Danach wollen wir noch kurz ins Internet, auf dem Weg dahin treffen wir den Mann von vorhin: "Ah, my special german friends!" ruft er erfreut aus einem Schuhgeschäft und stellt uns dessen Besitzer als einen seiner Brüder vor. Also doch nur eine Verkaufs-Masche? Nein, wir werden nur erneut zum Tee eingeladen, lehnen mit Hinweis auf unsere reiche Mahlzeit aber dankend ab.

Das angesteuerte Internetcafe hat gerade kein Internet, "aber spielen gern" sagt der Mann und weist auf die Gruppe Egoshooter-Netzwerkspieler. Beim nächsten Anlauf klappt es und mir gelingt sogar die Liveübertragung der Gesänge des Muhezzins via Skype in roxelaner Wohnzimmer.

Besonders intelligente Konstruktion an unserer Zimmerdecke.

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